Lias Geschichten
Kurgeschichten
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Kurgeschichten

  • Das Geschenk
  • Die alte Kräuterfrau
  • Die Uhr
  • Ein Osterfest
  • Die Schürze
  • Ein fröhlicher Morgen
  • Der Tanz
  • Für Mütter, die nicht loslassen können
  •  

    Das Geschenk

    Wir sind wieder mal im Umkleideraum der Schwimmhalle und machen uns fertig für unsere nächste Therapie. Ich bemerke, daß eine Mitpatientin noch ihre Uhr am Handgelenk hat und in ein paar Minuten würden wir ins Bad steigen. Sie bedankte sich für den Hinweis und meinte, es wäre mindestens die zehnte oder zwölfte Uhr geworden wäre, die zum Teufel ist. Sie wäre ein Uhrenkiller, aber an Ihre erste Uhr könnte sie sich noch sehr gut erinnern.
    Sie erzählte:


    Ich war ungefähr zwölf Jahre und mein viel älterer Bruder war schon lange aus dem Hause. Wenn er dann mal Besuch bei uns machte, brachte er öfter etwas schönes brauchbares mit. Diesmal war alles anders. Er klagte, wegen einer unnötigen Geldausgabe überhaupt keine Liebesgaben mitgebracht zu haben. Seine schöne Fliegeruhr, die mit allen Schikanen Versehene irgendwann in einem Waschraum liegengelassen zu haben. Ich bedauerte ihn sehr, denn seine Uhr war wirklich etwas ganz tolles. Er meinte, in diesen Zeiten gäbe es ja nur ein ganz schmales Angebot und er konnte nur so eine kleine Uhr kaufen. Er zeigte sie mir. Sie sah auf seinem starken Männerarm wirklich verloren aus. Ich schaute sie längere Zeit an und stellte fest, es mußte wirklich eine Damenuhr sein und fing an, den großen klugen pflichtbewußten Bruder zu hänseln, wie es kleine Mädchen so tun. Er nahm sie ab und meinte, den Spott habe er nicht verdient und ich soll sie mal anziehen auf meine dünne Spinnenarme, dann hätte er was zu lachen.
    Er band sie mir um und ich schaute nicht schlecht, als er seine aus der Hosentasche holte, sie anlegte und sagte: Ja, meine kleine Schwester, so schenken große Brüder. -
    Wir hatten uns richtig festgequasselt, als uns der Ruf aufscheuchte - Das Schwimmbad ist frei, die Gruppe B kann jetzt rein -
    Ich konnte ihr nur noch versprechen, daß ich ihr meine Uhrenstory nach der Therapie bei einer Tasse Kaffee erzählen werde.

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    Die Uhr

    Wie verabredet sitzen wir im Cafe und ich erzähle ihr meine Uhrenstory.

    In den Gärten war schon lange Ruhe eingekehrt, nur noch Meisen, Amseln, Eichelhäher und Krähen fliegen an und ab durch den Tann.
    Nur selten kann ich auf dem frischen dünn gefallenen Schnee ein paar Wildkaninchenspuren entdecken. Hasen gibt es schon lang keine mehr. Es soll die erste Friedensweihnacht vorbereitet und gefeiert werden. Wir begannen es damit, daß wir alle gut aufbewahrten nicht verbrauchten Kerzenstummel und Wachsreste zusammentrugen. Wir fertigten uns eine Papierröhre mit Hilfe eines Besenstiels an und erbaten uns aus Omas Strickkörbchen einen Baumwollfaden, den wir als Docht gut brauchen konnten. Dann stachen wir einen dünnen Nagel durch den oberen Rand der Papierröhre. In der Mitte des Nagels knoteten wir den Faden fest. Damit er gut fest hielt, beschwerten wir ihn. Danach wurde alles in einen Sandeimer gestellt und die Gießerei ging los. Durch die unterschiedlichen Reste war eine ganz sonderliche Farbgebung entstanden. Unsere Adventskerze war geboren und blieb unsere einzige weihnachtliche Lichtquelle.
    Kiefernäste verströmten ihren würzigen Duft in unserem kleinen Häuschen. Aber zum Fest wollten wir doch eine richtige Fichte haben. Wir wußten genau, wo in diesem riesigen Wald die edelsten Bäume standen. Wir wollten uns auf die Räder schwingen und uns den besten sichern.
    Aber haltet mal, rief Oma, es ist noch nicht die richtige Zeit, den Weihnachtsbaum zu schlagen. Soll er denn durch Euren Übereifer schon vor dem Fest die Nadeln verlieren? Unsere erstaunten Gesichter warfen nun auch Fragen auf, die meine Großmutter eindeutig klärte, denn sie lebte schon lange im Rhythmus der Natur und unsere ganze Familie war durch sie mit einbezogen. Also fuhren wir erst später, genau gesagt am 12. Dezember, um ihn zu schlagen. Vater baute dann auf einer Sperrholzscheibe eine wunderschöne Krippe auf und befestigte sie im Mittelteil unseres Baumes. Nun wußte ich, warum er gerade diesen Baum gewählt hatte. Er wurde wunderschön. Äpfel aus dem Garten kamen dran, einige Pfefferkuchen und unser altes, immer wieder aufgehobenes Zinn-Lametta, welches schwer von den Zweigen herabhing.
    Heiligabend leuchtete der Rest unserer Advendskerze und das übrige Licht kam aus der offenen Klappe des eisernen Ofens. Für uns Kinder eine wildromantische Atmosphäre, sieht man davon ab, daß alles sehr ärmlich war nach diesem verheerenden Krieg. Trotz allem hatten wir Glück, von unserer Großfamilie fehlte keiner, auch die elterlichen Freunde und die Verwandten hatten alles einigermaßen glimpflich überstanden. Die seelischen Qualen sah sowieso niemand und keiner sprach darüber. Wir sangen, lasen uns Märchen und Gedichte vor, träumten von der Zukunft und brachten damit eine zauberhafte Stimmung in unser karges Fest.
    Großmutter hatte die beste Überraschung für uns. Sie hatte einen großen Wassergrießpudding gekocht und reichte eingemachtes Obst dazu. Ganz herrlich mundete uns dieses Festmahl. Dann trat Ruhe ein und die stille Nacht brachte auch uns den Schlaf.

    Eine Ofenklappe fällt ins Schloß, es riecht nach Wärme und ich rapple mich aus meinem Bett. Es ist noch sehr früh und Großmutter hat schon das Zimmer aufgeräumt, den Frühstückstisch gedeckt und einen Eimer frisches Wasser geholt. Damit beginnt der erste Feiertag und ich schlüpfe, wie schon so oft an solchem Feiertagsmorgen zum Papi ins Bett. Wie eine Schmusekatze schiebe ich mich seitlich unter seine Decke und denke immer, er merkt es nicht und genieße diese stille Duldung. Viele Jahre später wurde mir klar, daß es zu unserem Spiel gehörte. Er war immer schon vor mir wach und genoß wie ich die seltenen Minuten der wohligen Geborgenheit und Nähe. Nach kurzer Zeit wurde es dann überall in den Räumen lebhaft und unsere Gespräche begannen damit, daß ich mir seine Taschenuhr erbat. Einmal im Jahr wollte ich ihre Schönheit erleben, die Zeiger hüpfen sehen und ihr gleichmäßiges Ticken hören. Es war ein immer wieder erregender Augenblick und es geschah leider nicht zum ersten Mal, daß sie mir aus den erregungsfeuchten Kinderhänden rutschte, auf dem Fußboden landete und ihr Leben für Tage ausgelöscht war. Schreck und Starre befielen mich und meine Mutter hatte bittere ermahnende Worte für mich. Papi mußte nun Schock und böse Worte wegtrösten. Es dauerte lange, bis sich die erlösenden Tränen einstellten und wir dann auch irgendwann in den Tag fanden. Viele Jahre sind seit diesen Erlebnissen vergangen.
    Vater und Uhr sind nur noch Erinnerungen.
    Als ich meinen Kindern die Geschichte von der Uhr und ihrem Großvater erzählte, fragte mein Mann, ein ewiger Bastler, nach der defekten Uhr und ich gab sie ihm bereitwillig. Er verstand es, dieser alten geplagten Uhr wieder Leben einzuhauchen. Welche Freude, als sie wieder ging. Sie bekam ein schönes lila Band und hing nun bei mir am Bücherregal. Ihre Zeit war nun meine Zeit. Ich liebte sie sehr.
    Eines Tages kam mein Bruder auf Besuch und er erkannte diese Uhr als Vaters Uhr. Er bestand darauf, daß er sie zu bekommen habe, denn sie gehöre zu Vaters Nachlaß und er möchte diese Uhr als Vermächtnis seinem Sohn geben zum Andenken an seinen Großvater.
    Ob sie immer noch brav ihre Dienste tut, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, meine Kinder erhalten von mir diese Geschichte und werden so von mir an ihren Großvater erinnert. Er hatte auch sie, genau wie mich, liebevoll umsorgt, ihnen die große weite Welt erklärt und sie noch ein gutes Stück auf ihrem Lebensweg begleitet. Nur das zählt.

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    Ein Osterfest

    Unser Mittagsmahl besteht heute aus Spinat mit Ei. Als alles vor uns stand und wir die Eier abgepult hatten, fiel mir eine Begebenheit ein, die ich vor langer Zeit mit Eiern hatte und ich erzählte sie unsern Tischteilern.

    Es war kurz nach dem Krieg und wir hatten bis dahin alles gut überstanden. Nun ging es darum, auch die große Hungerzeit zu bewältigen.
    Die Lebensmittelkarten reichten nie, alles mußte gestreckt werden.
    An diesem Osterfest hatte es so sehr geschneit, daß wir nicht mal im Garten Sauerampfer fanden, so konnten wir nicht einmal am Gründonnerstag die traditionelle Suppe kochen. Wir waren schon ganz traurig. Am Freitag Fisch zu servieren, war auch nicht möglich, denn wir wohnten nicht am Fluß. Und Ostereier - was ist das? -
    Was wir Kinder sehr bedauerten und laut beklagten - wie soll der Osterhase denn bloß bei diesem Wetter hierher finden? Oder haben sie den auch schon geschlachtet und verzehrt? Jammer, Jammer und Ratlosigkeit.
    Was wir nicht wußten war, daß auf dem Abschnitt A auf allen Lebensmittelkarten eine Sonderzuteilung aufgerufen wurde. Pro Abschnitt A gab es zwei Eier. Nun hieß es anstehen und immer mit der Hoffnung im Kopf - Hoffentlich reichen sie, bis ich an der Reihe bin, dachte mein Vater.
    Sie reichten!
    Getuschel in der Küche. Ich hörte, wie Großmutter sagte, Ihr werdet doch nicht alle zwölf Eier kochen! Roh können wir viel mehr damit beginnen.
    Ich wurde gerufen und konnte mir den Rest des Gesprächs nicht mit anhören und so sollten wir Kinder die tollste Osterüberraschung erleben, die es überhaupt jemals für uns gab.
    Großvater hatte den Schnee um die Johannisbeersträucher, die am Gartenweg zum Haus standen, aufgehäuft. Auf dem Gehweg blieb trotzdem noch genügend weißer Schnee liegen.
    Plötzlich hieß es, der Osterhase war da und unsere mauligen Gesichter hellten sich auf.
    Wir fingen sofort im Häuschen an zu suchen - aber nichts - Großmutter schmunzelte und meinte, immer noch - Kalt - Kalt - Kalt. Das Spiel ging weiter, bis ich in die Nähe der Tür kam - Lauwarm. Eigentlich wollte ich in den Manteltaschen etwas fühlen, aber - nichts.
    Als ich der Tür näher kam, rief Großmutter - Es wird ganz warm.
    Also doch Tür auf und raus. Mein Bruder drängelte so sehr, daß ich gleich im Schnee landete. Großes Gelächter von allen.
    Papa sagte nur, nun sucht mal schön.
    Mit dem Warm-Kalt-Spiel ging es noch eine Weile weiter, bis die Erwachsenen uns da hatten, wo wir etwas finden sollten.
    Nun waren unsere Kinderaugen doch auf Farbe eingestellt.
    Aber was geschah?
    Der Osterhase, der Faule, hat einfach die weißen Eier in den weißen Schnee gelegt. Da sollten wir sie nun entdecken. Wir waren schon ganz mutlos und des Suchens überdrüssig.
    Da ich dem Schnee am nächsten war und einfach mal etwas länger stehen blieb und nicht durch den Schnee tobte wie mein Bruder, entdeckte ich in einem der Johannisbeersträucher in einer Verzweigung einen weißen Fleck, der die Form eines Eies hatte! Aber der Osterhase hatte Schneebälle als Ostereier geformt. Als ich danach griff, war es doch ein richtiges. Jetzt war aber Vorsicht geboten. Nun stürzte sich auch mein Bruder auf die Sträucherreihe und wir fanden zwölf weiße Ostereier im weißen Schnee.
    Es war ein wunderschönes Osterfest, soviel Spaß hatten wir nie mehr wieder.

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    Die Schürze

    Ein Spaziergang durch die Gärten erinnerte mich an folgendes Erlebnis und teilte es meiner Begleiterin mit.

    Es scheint heute ein schöner Vorfrühlingstag zu werden. Die Sonnenstrahlen spielen mit den ersten zarten Blüten und der Wind streift sanft über das frische Grün. Es riecht nach frisch umgegegrabener Erde - Herrlich - Ich bitte Großmutter, mir die Haare schneller zu flechten und sie mir ganz hochzustecken, damit die Sonne überall an mich ran kann.
    Am Frühstückstisch hipple ich schon hin und her, denn es drängte mich nach draußen. Ich war schon ums Häuschen gelaufen und schaute gerade nach, ob auf meinem Beet auch schon die Primeln blühen und strich das wärmende Herbstlaub zur Seite.
    Da rief mich Mutti herein und band mir noch die Schütze um, mit der Bemerkung, du hast ja jetzt schon schmutzige Hände. Ich hatte schon gehofft, sie heute nicht tragen zu müssen. Aber nichts da! Ich will keine Schürze und mag auch nicht die Mutti, wenn sie meckert. Gerade diese Schürze engt mich besonders ein. Immer, wenn ich mich hinknien will, habe ich den Schürzenstoff drunter und wenn ich mich aufrichte, reißt es mich am Hals so sehr, daß ich schon zur Seite gekullert bin.

    Solche Not macht erfinderisch und ich klemmte mir die ungeliebte Stoffumhüllung zwischen die Oberschenkel, um ungestört zu spielen. Die Knitterfalten wurden genauso mokiert wie die Flecken auf ihr. Immer gab es irgend etwas, worüber meine Mutter was zu stöhnen hatte. Heute nahm ich mir vor, daß nichts dergleichen geschehen würde.
    Ich wollte durch die Gärten gehen und schauen, ob die anderen Sommerfrischler schon da waren. Sind vielleicht schon Frühlingsferien? Dann könnten meine Freundinnen schon hier sein.
    Also machte ich mich auf den Weg, aber nicht, bevor ich mich mit viel List und Beweglichkeit der ungeliebten Schürze entledigte. Ich rollte sie fein säuberlich zusammen und steckte sie in den Briefkasten, damit ihr nichts passiert. Ich konnte doch nicht meine Freundin mit Schürze empfangen. Jetzt konnte es losgehen. Ich schaute an vielen Gärten vorbei, hüpfte mal hierhin, mal dahin, fand so allerlei Blühendes, zum Beispiel Vogelmiere und winzige weiße Sternchen, die Großmutter Hungerblümchen nannte.
    Meine Enttäuschung war groß, als bei allen meinen Freundinnen die Tore verschlossen waren. Also waren noch keine Frühlingsferien - Schade.
    Ich malte nun auf den Sandwegen vor ihren Gartenpforten kleine Figuren und Pfeile, damit sie wußten, daß ich auf sie warte.
    Nun trödelte ich weiter durch die Kolonie, spielte mit den Hunden der Nachbarn, die wie wir auch im Winter hierblieben, weil sie in Berlin kein Zuhause mehr hatten. Ein Liedchen trällernd strebte ich wieder unserem Garten entgegen, denn ich bekam langsam Mittagshunger. Überall duftete es schon, einige Nachbarn saßen schon im Garten und aßen.
    Ich grabbelte nun nach meiner Schürze, aber sie war nicht mehr im Briefkasten. Als ich sie reinlegte, hatte ich nicht daran gedacht, daß der Briefträger auch später kommen konnte und somit mein Versteck verraten würde. In der Siedlung erzählt man sich, daß es jetzt täglich später wird mit der Post, weil er jetzt immer mehr schwarze Feldpost austragen muß und sie nicht nur in den Briefkasten steckt, sondern den alleingebliebenen Frauen die böse Nachricht übergibt, um den ersten Beistand zu leisten. Sonst klingelt er nur und fährt weiter.
    Mutter hat nun Zeitung und Schürze später als sonst herausgenommen und ich habe jetzt ein schlechtes Gewissen. Ich schlich mich nun erstmal auf den Wäscheplatz, ob nicht eine andere Schürze auf der Leine hing oder ob in meinem Puppenwagen was brauchbares zu finden war - Leider nicht. Also ging ich in die Höhle des Löwen und holte mir die Strafpredigt ab und eine tüchtige Tracht Prügel.
    Für diesen schönen Vormittag im Vorfrühling und Freiheit war die Dresche schnell vergessen.

    Meine Aversion gegen Schürzen änderte sich erst, als ich viele Jahre später im Kinderheim arbeitete und die weiße Schürze ein Symbol der Macht bedeutete. Für mich wurde extra eine kleinere Schürze bestellt, weil ich klein und sehr schmächtig war. Von den ältesten Zöglingen unterschied ich mich sonst nur wenig. Einige Monate später brauchte ich auch hier nicht mehr. Ich genoß große Anerkennung bei Kindern und Erziehern, aber die Abneigung gegen Schürzen jeder Art ist geblieben.

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    Ein fröhlicher Morgen

    Wir waren mal wieder im Ort unterwegs und sahen Kindern beim Spielen zu. Sie
    spielten Vater, Mutter, Kind. Das regte uns so an, daß jeder von seinen Erlebnissen
    mit Kindern erzählte. Das verrückteste Erlebnis war dieses.


    Die Sommersonne stieg langsam am Horizont auf und überstrahlte die Dächer der alten Stadt.
    Auf ihrem natürlichen Tageslauf kam sie auch an unserem Fenster vorbei und tauchte das ganze Schlafzimmer in ein wunderschönes Gold.
    Sie machte uns munter und so blinzelte Eine den Einen an. Es versprach ein
    zauberhaftes Vorfrühstück zu werden.
    Unsere Kinder, wir nahmen es an, würden noch tief und fest schlafen. So erfreuten wir uns gegenseitig am goldigen Körper des anderen.
    Plötzlich ein patsch, patsch, patsch auf dem Flur. Stille. Waren das nicht die nackten Füßchen unserer Kleinsten? Die Türklinke rutschte zurück und fiel wieder ins Schloß, weil sie noch nicht ganz heranreichte.
    Bis zum zweiten Versuch hatten wir mit einem kleinen Hechter irgendeine Stelle im Bett erwischt und zogen uns nun die Decken so weit wie möglich über uns.
    Wir wollten jetzt keine Gutenmorgengeschichten im Bett erzählen und auch nicht mit den beiden rumkuscheln, obwohl sie dazu berechtigt waren. Die Wochenend-
    Familienzeit war immer zu kurz für sie, aber auch für uns.
    Wir entschieden aber für uns und vergruben alles Nackte, den festen Schlaf
    vortäuschend, unter den Zudecken.
    Langsam näherte sie sich ganz leise und schaute sich um. Na, so was, keiner rührt sich und ich finde überhaupt keine Stelle, wo ich reinkriechen kann.
    Sie steht und schaut, schnauft und kann nicht glauben, was sie sieht. Sie streicht sich mit ihren kleinen schlaffeuchten Händchen durch die Haare, die sofort zu Berge stehen. Es ist ein Bild des Entzückens - aber Ruhe, Ruhe, Ruhe. Ich blinzele und schaue weiter, was geschieht.
    Völlig unerwartet bückt sie sich. Ich kriege schon einen leichten Schreck. Aber was tut die fürsorgliche kleine, sie hebt Vaters Hausschuhe auf und schleppt sie auf meine Seite, wo sonst ich liege. Dann schafft sie meine Pantöffelchen an das ehemalige Vaterende. Dann schnauft sie tief, beschaut sich ihr Werk, ist damit zufrieden und zieht wieder ab. Ordnung muß sein.
    Nun lagen zwei süße Schwindler im Bett, konnten vor Kichern und Staunen nichts
    mehr ausrichten, weil wir auf die nächste Attacke unser Kinder warteten. Richtig, sie holte sich Verstärkung. Beide mit ihren Kopfkissen bewaffnet stupsten sie uns wach.
    So endete unser Sommersonnen-Vorfrühstück und wir bedauerten nichts. Herrlich,
    solche Kinder zu haben.

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    Der Tanz

    Dieser Nachmittag sollte eine sehr eigenwillige Bewegungstherapie
    werden.


    Der Frühling setzte sich immer mehr durch. Das Pfingstfest führte uns in lustiger Wanderung durch den anschließenden Grenzbereich ins gemütliche Tschechien. Der Kuchen in der kleinen Wirtschaft schmeckte nach mehr und die Männer naschten etwas öfter am Bier. Die Tage und Abende wurden immer wärmer und heller. An so einen Abend lud uns die Kurhausleitung zu einem Terrassenfest mit richtiger böhmischer Blasmusik ein. Sechs muntere Musikanten brachten mit ihrer Musik die alten Knochen wieder in Schwung.
    Natürlich konnten wir nicht nur zuhören. Wir gaben unserer Freude in schwungvollen Tänzen Ausdruck. Auffällig war ein älteres Ehepaar. Sie immer an den Rollstuhl gefesselt, umsorgte sie ihr liebenswürdiger Mann. Auch an ihnen tanzten wir vorbei und ich fing ihre Blicke auf, die wie Zündstoff bei mir einschlugen. Ich gab meinen Mann einen Wink und schon waren wir am Rollstuhl. Öftere Reportagen im Fernsehen zeigten mir, wie auch Menschen im Rollstuhl tanzen können. Daran dachte ich in diesem Moment, sie einfach in ihrem Stuhl zu bewegen und sie zwischen uns herumzuschwingen. Reine Fehlvorstellung. Als wir uns ihr näherten, begann ein Sekundenprozeß. Sie mobilisierte alle ihre Kräfte, ihren Mut und streckte uns ihre Arme entgegen.
    Wir ergriffen sie an den Unterarmen, um mehr Kraft und Sicherheit zu geben und zu haben. Sie zog sich an uns hoch stand und strahlte. Wir schlossen den Kreis und bewegten uns im Rhythmus der Musik. Normalerweise war die Polka zu Ende, aber sie spielten für uns weiter. Alle schauten uns zu, klatschten vor Begeisterung und machten daher noch mehr Mut.
    Es war der Durchbruch für die ehemalige Sportlehrerin, die nun schon lange im Rollstuhl war und auf Kurerfolg hoffte. An den folgenden Tagen konnten wir beobachten, wie sie mit Hilfe ihres Mannes immer öfter sich gut festhaltend ihrem Rollstuhl langsam gehend folgte. Wir freuten uns immer wieder über ihre
    Fortschritte und kamen noch oft ins Gespräch.
    Von anderen Patienten nach der Verantwortung befragt, die wir in diesem Augenblick beide übernommen hätten konnten wir nur sagen, es war der richtige Zeitpunkt und daß wir ganz spontan gehandelt hätten.
    Wäre es nicht öfter im Leben so, daß langes Nachdenken nur etwas für Zögerliche ist, wer wagt, gewinnt, und sie hat gewonnen. Wir haben nur ihr Angebot angenommen und es mit ihr umgesetzt.
    Nach dieser gelungenen Aktion hatten wir auch bei der Ärzteschaft einen Sonderstatus. Es fehlte nur noch das Angebot, als Animateure dazubleiben.
    Naja Spaß muß sein.

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    Für Mütter, die nicht loslassen können

    Die Therapien lagen mal wieder so, daß auf unserem Spaziergang durch blühende Wiesen und angrenzende Wälder nur wir Frauen und Mütter unterwegs waren. Da kam es wie von selbst, daß jede über ihre Beziehung zu ihrer Tochter sprach. Und so ungefähr hörte es sich dann an, als jede von uns
    mit dem Rücken an einen dicken Baum saß.


    Regenverhangene Tage, wie dieser einer ist verleitet mich zu Tagträumen und Erinnerungen. Auch Plätze, an denen ich mich gerne aufhalte, wiegen mich oftmals in Wachträume. Es sind nur Augenblicke, denn meine Unruhe hat mich bis jetzt immer wieder weiter getrieben und ich fand immer nur das reale Leben erlebenswert -- Eine Zwecklüge oder besser gesagt Ausrede, denn mein Unterbewußtsein spülte mir ganz etwas anderes in mir hoch und das hat mein Realbewußtsein völlig überwältigt. In Sekunden war alles anders. Eine Erinnerung, die immer wieder wach wird, ist, daß ich mit dem Rücken fest angelehnt an unserem großen alten Ahornbaum sitze und ich mich dem Moment ergebe. Ich erlebe ganz natürliche Klänge, fein märchenhaft, es handelt sich um Insekten, die sich zuhauf über die süßen Blütenbüschel hermachen. Ihr Summen trägt mich immer weiter weg, gleitet ab in die Unendlichkeiten. Ich habe das Gefühl, ich wachse in die Erde.
    Es wird mir bewußt, daß ich meinen Körper wie ich ihn sonst kannte, mit Zipperlein hier und Schmerz da, vollkommen vergaß und ich eine Reise eine Traumreise, in mein Inneres antrat. Auf einer nie gekannten warmen Welle sehr leicht und fein trug mein Atem mich durch mich hindurch, nur begleitet von meinen Gedanken, eigentlich meiner Seele. Wir irrten einige Sekunden herum und fanden dann den Ausweg durch meine Wurzeln zu Mutter Erde in ihr bis jetzt für mich verborgenes Heiligtum. Ich nehme an, dieses Geschehen ist nicht zu jeder Zeit für mich zudurchleben, sondern nur dann, wenn ich bereit bin alle fließenden Ströme laufen zu lassen und mich ihrer Führung überlasse.
    Die Mutter Erde, die ich erlebte als ich durch alle meine Wurzeln hindurchgestiegen bin und gewagt habe, ganz in ihr Reich einzutreten war stumm, aber in ihren Handlungen und Hinweisen sehr bestimmend und ermunternd.
    Ich überließ mich trotzdem ihrer Führung.
    Fragen, die ich mir noch nie gestellt hatte, stürzten auf mich ein, drängten sich in meine Sinne. Sie erschreckten mich, rüttelten mich auf, zeigten mir, wie viele Möglichkeiten ich verspielt habe und wie viele Wege ich noch gehen kann, bis an den Heiligen Baum der Weisheit zu gelangen. Wenn überhaupt.
    Wie eine unüberwindliche Mauer türmten sich meine Gedanken, an die Tage mit meiner Tochter Anne, die wir gemeinsam in Worpswede verbrachten, vor mir auf.
    Dieses Worpsweder Wochenende für uns zwei hatte ich meiner Tochter zum Abschluß ihrer Diplomarbeit geschenkt. Mein Wunschgedanke für uns war, daß wir uns nahe sind und sie sich auf den Spuren von Paula Modersohn Becker wohlfühlen mag. Sie aber sah alles ganz anders und ich ahnte von alledem nichts.
    Mir fiel nur auf, daß ihr die sonstige Heiterkeit fehlte und sich die Gelöstheit nicht einstellen wollte. Die Spannungen, die sich daraus ergaben, konnte ich mir nicht erklären, fragte aber auch nicht. Schade! Ich bemerkte, daß sie keine Wünsche äußerte und sich auf meine Organisationsvorschläge verließ, die ich auf
    dieser Reise nicht hatte, denn ich wollte ihr die Initiative überlassen. Sie wußte lange von dieser Reise und ich nahm an, sie hätte eine Fülle von Wünschen.
    Fehlgedacht! Leider wurde ich erst sehr spät wissend um ihre Gefühle. Dadurch vergaben wir viel Zeit und redeten oftmals aneinander vorbei. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt über ihre Gefühle nicht sprechen und ich wagte nicht zu fragen.
    Sie nahm an, daß ich ihr die Fahrt geschenkt hatte, weil ich dorthin wollte. Sie sah es als eine Nötigung an und damit war uns jede gemeinsame Freude versagt.
    Trügerisch wie das Moor waren unsere Gedanken verkrampft wie unsere Bewegungen. Um uns blühte es wunderschön und sie hegte graue Gedanken.
    In diesem schönen Monat Mai vollendete sie ihr 3o. Lebensjahr und ich werde in diesem Jahr noch meinen 6o. begehen. Plötzlich drängten sich Erlebnisse auf, die wir beide in den Schulferien, auf Reisen und auf Studienbesuchen hatten. Das Herz wurde mir schwer! Sollten wir das alles verlieren. Oder schon verloren
    haben ? Wie schwer ist es für mich, loszulassen. Im Kopf längst begriffen, mit dem Herzen immer im Hader. - Wie schwer!-- Aber wie schwer muß es erst für sie sein? Wann werde ich ihr das Gefühl der gleichberechtigten Frau neben mir vermitteln können. Wie kann ich es werden lassen ohne wieder zu verletzen?
    Immer trägt sie den Stempel der Tochter und wehrt sich vehement um diese unsichtbare Fesseln los zu werden. Leider festigt sie die Momente nicht in denen sie mir gegenüber stark ist. Sie ist so wissend und wuchert trotzdem nicht mit diesen Pfunden. Ich müßte ihr vielleicht öfter sagen, wie ich sie bewundere, daß ich sie liebe so wie sie ist, so kompromißlos liebend, so ungestüm fordernd und zugleich so verletzlich. Ich versuche mich in ihre Seelenkämpfe einzufühlen, aber sie läßt mir wenig Möglichkeiten. Eine neue Unsicherheit, die ich früher bei mir nicht kannte, hängt jetzt knisternd zwischen uns und verursacht immer mehr Unbedachtsamkeiten. Stelle ich mich zurück und gebe meine Persönlichkeit auf, geht das nicht gut. Wenn ich mich richtig mit ihr fetze, meinen Standpunkt vertrete, dann merke ich, daß sie fast ähnliche Gedanken und Gefühle hat. Trotzdem wir verletzen uns immer noch, weil wir nicht aussprechen, was uns
    bewegt. Mein Harmoniebedürfnis ist unpassend, ich muß hin und wieder Widerstand leisten und das bald, sonst bleibt uns kein Weg mehr um uns weiterhin Liebe und Achtung zu erweisen.
    Alles das bewegte mich, als mich Mutter Erde wieder ans Licht führte. Nun befand ich mich schon ganz oben in der Krone des Baumes. Immer noch begleitet sie mich und ich fühle mich wohl in ihrer Nähe, fühle mich unantastbar, richtig abgeschirmt. Ich nehme alles auf, was sich meiner Seele bietet, sie läßt mich begreifen, daß die Liebe das seelische Maß aller Dinge ist, die der Mensch empfangen und geben kann.
    Still verharrend im höchsten Wipfel des Baumes im überstrahlenden Licht sah ich mich - - wie ein Schatten zog ich an mir vorüber. Ruhig sanft lächelnd weißhaarig und voller Energie, biegsam wie eine junge Gerte aber widerstandsfähig. Empfindsam wie eine Mimose und romantisch wie Eichendorff und Löns zusammen. Lichthell und greifbar nahe sah ich alles vor mir. Ich fühlte den Zauber körperliche Liebe,

    phantastische Berührungen
    kindliche Liebe
    mütterliche Liebe.

    Nie war mir so wohl wie in diesem Augenblick bei dieser Entdeckung. Sollte das die Vorausbestimmung für meine nächsten Stunden oder Jahre sein? Heißt es vielleicht auch, daß unsere Worpsweder Reise ihre Wirkung zeigte. Nur anders als vor Zeiten gehofft aber wirksam.
    Pausen bringen Nachdenken
    Abstände bringen Nähe
    Widerstand bringt Achtung
    Klartext bringt Verständnis.

    Gedanken dieser Art erschütterten mich. Zeigten sie doch Wege, die es möglich machen, jeden Tag ein kleines bißchen mehr loslassen zu können. Nur ein Lichttraum oder ist es machbar?
    Mit dem Stein, den mir Mutter Erde in die Hand schob, glasklar, kühl, voller Licht und Kraft durchlebte ich unbeschadet die Rückreise zu mir.
    Somit schloß sich mein Traumkreis und es regnet noch immer.

    Ab da brachte auch ich meine Befindlichkeiten ein, setzte meinerseits Grenzen. Bot ihr Reibungsflächen, damit sie sich beweisen konnte und auch ich nicht immer als die Schwache Starke aus dem Rennen ging. Ich suchte und fand treffende Argumente und bessere Formulierungen. Dabei half mir die Vorstellung,
    daß ich nicht zu meiner Tochter, sondern zu meiner Freundin spreche, der ich etwas wichtiges anvertrauen möchte. Bis jetzt hält der Versuch.


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