Das Schuhchen
Es war Anfang Juni und ungewöhnlich heiß für diese Jahreszeit.
Alle Schlafraumfenster des Kinderheims liegen zur Havel hin und
sind weit geöffnet. Der erfrischende Nachtwind streicht über die
Betten . Heute Nacht kann man besonders gut das bewegte Wasser
hören und den Eigengeruch wahrnehmen, denn der Wind trägt alles
herüber.
Florian lag schon lange wach und hörte den Morgengesängen der Vögel
zu. Von weitem hörte er den Hund bellen, den er schon längere Zeit
kennt. Bei Spaziergängen durch die Umgebung hat er sich schon öfter
von ihm streicheln lassen. So durch den Zaun mit zwei Fingern. An
das alles dachte er und an noch vieles mehr. Immer morgens, wenn
die anderen Kinder die noch mit in seinem Zimmer waren noch
schliefen konnte er träumen. Und das genoß er und wurde brummig,
wenn es draußen unruhig wurde so wie grade jetzt. Das Lieferauto
bremste scharf und schnell wurden die Michflaschenkästen, frische
Brötchen und sogar Sreußelschnecken abgeladen und auf der Rampe zur
Seite geschoben, dann trat wieder Stille ein und Florian kann
weiter träumen. Der Duft des frischem Gebackenen wird vom leichten
Aufwind langsam durch die offenen Fenster ins Innere des Hauses
getragen. diesem Moment bog die Köchin in das große Tor ein,
klapperte mit ihrem Fahrrad über das Holperpflaster im Hof, denn
sie hatte das Schutzblech immer noch nicht vom Hausmeister
festmachen lassen, stellte also die alte Klapperkiste in den
Fahrradständer und nahm ihre dicke Tasche vom Gepäckträger der mit
einem lauten ratsch heruntersauste. Danach klappte die Haustür und
es trat wieder für kurze Zeit Ruhe ein. Er wartete, horchte, ja
jetzt dieses Geräusch kannte er ganz genau. Er wußte auch, daß bald
ein feines Maschinengeräusch durchs Haus zog und er konnte die
Stullen mitzählen. Jium, Jium, Jium noch ein paar und zehn und dann
kam er durcheinander bis elfzehn, zwölfzehn und dreizehn, kam dann
restlos durcheinander und gab es auf. Die Türen klapperten, das
Haus fing an zu schwatzen. Morgentoilette war angesagt. An solchen
Tagen blieb er bis zum Schluß im Bett, denn träumen war wunderbar.
Nun tauchten vertraute Gesichter auf, die Stimmen wurden lauter und
auch er machte sich fürs Frühstück fertig.
Wieder begann ein Tag, für die Heimchen , seiner hatte schon längst
begonnen. Es wurde wieder einmal so ein Trödeltag und er verzog
sich zu Herrn Pohl. Da saß er gerne mal. Herr Pohl arbeitete am
Computer, er stellte Zahlen zusammen und hatte immer viel zu tun.
Wenn er dann doch mal etwas Zeit hatte und Florian ihn sehr
eindringlich bat, machten sie auch zusammen mal ein Spielchen.
Florian jagte dann mit dem Mauskursor das Spielmäuschen durchs
Labyrinth und mußte immer neue Ausgänge finden. Er ist schon sehr
geschickt dabei, so daß Herr Pohl ein neues Spiel für Florian
installieren muß. Er macht es gerne, denn er hat seine Freude dran,
wie der Junge immer besser wurde.
Florians Erzieherin hat viel Verständnis für ihn und entdeckt, daß
er auch gerne malt. Er schleppt seine Malutensilien auch noch in
den engen Arbeitsraum von Herrn Pohl, in dem er dann den ganzen
freien Fußboden mit seinen Malerergebnissen ausfüllt. Er ist eben
was besonderes, dieser kleine Florian. Er erzählt auch nur Herrn
Pohl von seiner Sonntagsbesuchfamilie und den herrlichen
Erlebnissen mit ihnen . Der Vater Björn hätte auch einen Computer
und arbeitet fast das ganze Wochenende daran. Manchmal darf er auch
mal ran, aber er hat keine Spiele drauf. Herr Pohl verspricht ihm,
mit Björn darüber zu reden. Nun freute sich Florian schon auf den
nächsten Besuch und auf seine beiden Freunde Jens und Jörg. Sie
können gut miteinander spielen.
Vater Björn saß in seinem Arbeitszimmer. Mutter Maren hatte in der
Küche zu schaffen und ihre beiden Söhne erledigten Schulaufgaben,
die nun bald die letzten für dieses Schuljahr waren.
Die Ferien waren schon in Sicht, und das wußten sie genau, konnten
sie diesmal mit ihrem Florian verleben, der die ganze Zeit über
hierher zu Besuch kommt. Florian hatte schon öfter mit den beiden
Zeit verbracht, aber noch nie hatte er das Heim zum Schlafen
verlassen. Diesmal sollte es für viele Tage sein. Seit Florians
Eltern, die Freunde von Björn und Maren, durch einen Autounfall ums
Leben kamen, ist die Freundesfamilie der einzige Kontakt den
Florian außerhalb des Heimes hat. Nach dem viele behördliche
Schwierigkeiten überwunden wurden ist es jetzt kein Problem mehr
mit Florian Ferien zu machen. In zwischen ist auch das Haus der
jungen Familie restlos fertiggestellt genau so wie Florians Vater
als Architekt vorgesehen hatte. Nun wird es Florian zum ersten Mal
ganz erleben. Für Jens und Jörg war die Warterei auf die Ferien und
ihren Florian durch das Herrichten des Zimmers für Florian schnell
vergangen. Alles sollte richtig und gut sein, denn sie wollten, daß
ihr Florian für immer bei ihnen bleiben würde. Wird er von der
großen Liege rutschen? Oder kann er schon drauf schlafen? Er
konnte, und es war sogar ganz herrlich, es wippte so schön. Daß
Florian endlich ganz zur Familie gehört, war auch Björn und Marens
Wunsch. .
Der Sommer verging für Florian wie im Fluge. Für Jens und Jörg
waren es mal ganz andere Ferien, keine große Auslandsreise wie so
oft schon, sondern ihre Ziele waren die nähere und weitere
Umgebung. Oft führten ihre Wege am Kinderheim vorbei, über die
Wiesen, am Bächlein entlang bis zum See, in den der kleine Zufluß
mündete.
Als sie heute aus dem Wald auf die Lichtung kamen, entdeckten sie
am Rand einen kleinen Wagen, der so aussah wie das
Holzspielzeugwägelchen, womit Florian öfter im Kinderheim gespielt
hatte. Der zweirädrige Wagen mit Spitzdach gehörte zu der
Holztiergruppe "Schäferei". Nach dieser Feststellung hielten alle
Ausschau und erspähten tatsächlich am Rande der großen Wiese einige
vereinzelte Schafe. Sie stiegen von ihren Fahrrädern, legten sie im
Buschwerk ab und gingen langsam, um die Tiere nicht zu
verschrecken, auf dem schmalen Wiesenpfad näher zu ihnen heran.
Nicht lange, so gewahrten sie auch den Schäfer, der an einem
schattigen Plätzchen, sich auf seinen Stab stützend, etwas ausruhte
und von weitem seine Herde beobachtete.
Die drei Jungen waren noch gar nicht bis zum Schäfer gelangt, da
schoß aus dem Dickicht ein Hund, verstellte ihnen den Weg, knurrte
leise, beschnüffelte sie und ließ sie erstmals nicht weitergehen.
Einen kleinen Schrecken haben sie natürlich schon bekommen. Der
paßt aber wirklich gut auf, sagte Florian mit etwas zittriger
Stimme. Ein Pfiff und der Hund stiebte davon in Richtung Schäfer,
der den Kindern zuwinkte. Wie staunten sie, als sie entdeckten, daß
da nicht ein alter Schäfer auf sie wartete, sondern eine ganz junge
Schäferin, die unter ihrem großkrempigen schwarzen Hut ihren langen
Pferdeschwanz verbarg. Sie grüßte die verdutzten Kinder sehr
freundlich und fragte wo sie denn herkämen und wer sie denn
seien?
Jens stellte nun seine Gefährten vor, und Florian plauderte sofort
drauf los. In Windeseile wußte die Schäferin, daß Jens und Jörg
Brüder sind, er aber noch im Kinderheim lebt, das sich hier ganz in
der Nähe befindet und daß er jetzt in den Ferien in dem großen
schönen neuen Haus im Wald bei Jens und Jörg wohnt. Gleich danach
erklärte Florian, daß er hier noch niemals Schafe gesehen hätte.
Die Schäferin mußte ihm recht geben und erzählte nun den Jungen,
daß sie erst in der Nacht mit ihren Tieren hier auf diesem schönen
Platz angekommen wäre. Jetzt deutete sie auf das Pferch am
Waldrand. Die Jungen staunten, denn sie hatten es noch nicht
entdeckt. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt den kleinen niedlichen
Lämmern und den Mutterschafen. Wir werden eine gute Weile hier
bleiben, die Schafe, der Hund und ich. Die Jungen hörten das mit
Freuden, dann können wir ja immer wieder mal vorbei kommen.
Oh ja, das könnt ihr wohl.
Am Feldrain, wo die Heckenrosen noch üppig blühten, lagen riesige
Feldsteine aufgetürmt. Dazwischen blühten wunderschöne zarte blaue
Glockenblumen.
Hier werden wir ein bißchen Mittagsruhe halten, sagte die Schäferin
und lud die Jungen zum Verweilen ein. Aus ihrer großen
Umhängetasche holte sie ein zünftiges Schäferbrot hervor.
Es duftete nach Schwarzbrot, Käse und Dauerwurst. Sie schnitt gut
passende Stücke für jeden ab und sie ließen es sich schmecken. Ein
frischer Apfel ließ sich auch noch finden, der dann geteilt wurde.
Langsam näherten sich auch den kleinen Steinhockern einige
Muttertiere mit ihren Lämmern, die dort im Schatten auch ein
bißchen ruhen wollten. Aber erstmals wurden sie von Florian
gestreichelt. Immer wieder ließ er seine Finger durch die kleinen
dichten Locken fahren. Es machte Beiden Spaß. Zwischendurch kam
Prinz, ein deutscher Gelbbackenschäferhund zu ihnen gerannt und
schüttelte sich bei ihnen sein noch feuchtes Fell aus. Die Tropfen
flogen nur so herum und leuchteten in der Sonne wie Feuerfunken.
Ja, ja der Schlingel war schon wieder mal im Tümpel sich abkühlen.
Oh ja, da wollen wir auch noch hin, hakte Florian sofort ein.
Der Prinz stand nun abwartend vor uns. Bekommt er auch was? Nein,
er muß erst seine Arbeit tun. Die Schäferin schickte ihn fort zu
den Schafen und befahl ihm, sie ganz langsam zur Mittagsruhe zu
bewegen. Nun umkreiste Prinz die Mutterschafe mit den Jungtieren,
die weit auf der großen Wiese auseinander standen und drängte sie
behutsam an den Wiesenrand in den Schatten. Dort hatten sich schon
einige niedergelegt und käuten schon genüßlich wider. Bald waren
alle Schattenplätze belegt und es trat Ruhe ein. Auch der Prinz
legte sich jetzt zu ihnen. Florian war wißbegierig und unruhig
zugleich. Er wollte vieles über die Schafe wissen, aber es drängte
ihn auch, zum Tümpel zu fahren.
So fragte er schnell und alles auf einmal und wartete die ruhige
Antwort der freundlichen und geduldigen Schäferin erst gar nicht
ab. Na du bist ja ein zappliger kleiner Bursche, du steckst ja so
voller Eile, daß ich dich besser Flo nennen werde. Was meint ihr
dazu? Würde Flo nicht prima zu ihm passen? Jens und Jörg fanden den
Kosenamen ganz prima für ihren Wildfang und so wurde aus dem
strengen Florian ein spaßiger Flo. Florian alias Flo war es
recht.
Nun wollte Flo aber doch lieber an den Tümpel.
So verabschiedeten sie sich von ihren neuen Freunden, der Schäferin
und dem Schäferhund Prinz. Bis später mal wieder. Die Jungen gingen
nun zu ihren Rädern winkten noch öfter, zu bis sie auf dem schmalen
Pfad durch den Hochwald verschwanden.
Sie kamen nun in die Nähe des Sees und suchten sich ein feines
Plätzchen aus um gut zum Schwimmen ins Wasser zu gelangen .Flo
konnte noch nicht schwimmen und verlustierte sich erst einmal am
Ufer. Er wurde zum Deichbauer. Jens und Jörg ließen ihrem Flo viel
Zeit. Sie setzten sich nach dem Schwimmen an den Rand ins Gras und
schauten ihm zu. Flo ging ständig auf Entdeckungsreise, baute
Wasserstraßen, ließ Borkenboote schwimmen, die ihm die beiden
geschnitzt hatten. Plötzlich kommt er völlig außer Puste angerannt
und berichtet, er hätte eben in dem kleinen Tümpel am Eingang zum
Stichgraben ein kleines Krokodil gesehen. Er zog die beiden mit
sich und zeigte ihnen genau die Stelle wo er das besagte kleine
Krokodil gesehen hätte. Jens und Jörg sahen auch wirklich etwas
aber es war wie sie es sich schon dachten kein Krokodil sondern ein
Kammolch. Große Erklärung , daß Krokodile hier bei uns nur im Zoo
überleben können. Jetzt wo wir soviel Zeit haben könnten wir ja
auch da mal hinfahren und uns die Krokodile anschauen.
Bei der ganzen Spielerei bemerkten sie nicht die Veränderung am
Himmel. Es braute sich ein Gewitter zusammen und so etwas geht im
Hochsommer sehr schnell. Die Kinder beeilten sich durch die
Kornfelder zu kommen und vielleicht noch trocken das Kinderheim zu
erreichen ,denn es lag näher als das Zuhause. Der Wind nahm zu das
Korn wogte sich wie ein Meer hin und her aber sich das anzusehen
blieb ihnen wenig Zeit Sie beeilten sich um dem zunehmenden Wind zu
entkommen. Die Baumkronen bogen sich schon mächtig und viel Sand
flog den Kindern in die Augen. Geschafft. Herr Pohl nahm die drei
Jungen gerne auf die grade noch vor dem großen Wolkenbruch ins Haus
gelangten. Herr Pohl rief sofort zu Hause an und verabredete mit
Björn daß die Jungen hier im Heim sind und bleiben bis nach dem
Unwetter die Wege wieder freigeräumt sind, denn der Sturm hat im
Wald sehr gewütet, daß mit dem PKW nicht durch zu kommen war.
Für eine Nacht waren sie alle drei Heimkinder und Jens und Jörg
stellten den sehr großen Unterschied zu ihrem zu Hause fest.
Schlecht war es ja nicht aber für länger hier bleiben wie ihr Flo
das wollten sie sich gar nicht erst vorstellen.
Nach diesem Erlebnis drängten die Jungen ihre Eltern noch mehr,
ihren Flo doch für immer nach Hause zu holen. Gefühlsmäßig gehört
er doch schon lange dazu. Jens und Jörg stellten fest, daß das
Leben hier im Heim nicht ihr Ding war, und es fiel ihnen schwer, am
nächsten Morgen so früh zu frühstücken und dann auch noch mit allen
Heimkindern zusammen. Das war doch wohl zu verstehen.
Flo lernte in diesem Sommer von seinen Nunbrüdern das Radfahren und
auch das Schwimmen ging schon ganz gut. In dieser Zeit hatte er das
Computerspielen mit Herrn Pohl nicht vermißt, denn Björn hatte sich
viele Spiele besorgt und er verbrachte viel Zeit mit Flo und den
neuen Spielen auf dem Bildschirm.
Anfang Herbst war es dann soweit. Flo konnte nun für immer das
Zimmer neben Jens und Jörg beziehen. Es war nun nicht mehr das
Besucherzimmer in diesem schönen Haus sondern seins. Jens und Jörg
hatten Bücher und Märchenkassetten für ihn besorgt. Sie dachten
daran, daß sie auch mal, wie sie es gewohnt waren, Zeit für sich
brauchten und da sollte Flo keine Langeweile haben.
Flo saß nun bei Maren und Björn im Auto, seine paar Habseligkeiten
paßten in ein kleines Köfferchen, denn den Schlumps, den er zu
Ostern von den Jungs geschenkt bekam, trug er fest unter dem Arm.
Langsam wurden die Personen auf der Heimtreppe immer kleiner. Nur
seine Freundin, die wohlbeleibte immer freundliche Köchin erkannte
er noch lange.
Dann tauchte das Auto in den Wald ein. Die Strecke war ihm bekannt.
Aber heute sah alles ganz anders aus. Dann die Einfahrt, die große
Wiese vor dem Haus und dahinter der dichte Wald, durch den sie
grade gefahren waren. Es roch nach Herbst, nach Pilzen und Wind.
Als sie ausstiegen, raschelte das Laub unter ihren Schuhen. Er
dachte an die Hängematte, die im Sommer zwischen den hohen Bäumen
hing und an die Sommerspiele. Wie immer suchte Maren nach dem
Schlüssel.
Es dauerte ein bißchen, bis sie ins Haus kamen. Jens und Jörg
stürmten mit Flo die Treppe hinauf und zerrten ihn in sein Reich.
Er sollte nun sein Urteil abgeben, ob alles so ist, wie er sich es
wünschte. Flo stand erst mal da und konnte sich gegen den
Redeschwall der beiden nicht wehren. Er staunte nur, was sich alles
verändert hatte. Er stand da immer noch in Jacke, Schal und Mütze.
Erst als Maren Flo in den Arm nahm, ihm die Jacke abschwatzte, war
er angekommen, -- aber noch nicht zu Hause.
Jens und Jörg hatten Oktoberferien. Sie hatten sich viel
vorgenommen. Sie wollten mit Flo Drachen bauen und über die
Stoppelfelder ziehen. Mit den Bauernkindern aus der Gegend wollten
sie ein zünftiges Kartoffelfeuer mit gebackenen Erdäpfeln erleben.
Jeden Tag hatten sie sich was anderes ausgedacht. Die ganze Familie
wollte dann am Wochenende in die Pilze gehen. Herrlich! Der
Herbstwind blies ihnen nicht nur ins Gesicht, sondern auch reife
Früchte von den Bäumen. Flo bereitete das alles viel Freude, denn
er brauchte dann nicht in den Kindergarten.
Einen Tag hatte Maren frei. Flo und sie setzten für das nächste
Jahr dauerhafte Pflanzen vor die Hecke, damit es im Frühling etwas
bunter dort aussieht. Sie sammelten dann noch Äpfel und Pflaumen
und buken einen Pflaumenkuchen, während die beiden Großen mit ihren
Freuden an diesem Tag zu einer Probe in die Schule fuhren. Sie
spielten in der Schultheatergruppe mit und hatten bald einen
Auftritt. Sie freuten sich schon sehr darauf und versprachen, daß
auch die ganze Familie mit zuschauen darf. Alles was in der Familie
vom Theaterspiel inhaltlich erzählt wurde setzte Flo in kleinen
Bildern um. Er war in seinem Element und seine Phantasie und
Malfreude kannte da keine Grenzen.
In der Woche, als das Theaterstück aufgeführt werden sollte, zeigte
Flo ganz stolz seine Bilder. Maren erfaßte sofort die Gelegenheit
am Schopfe machte es ganz wichtig, damit Flo spüren sollte, wie
sehr ihr daran lag und daß er zur Familie gehörte und schlug vor,
die kleinen Bilder auf Leisten zu befestigen und sie im Schulflur
zum Eingang in die Aula aufzuhängen.
So sahen alle Gäste, Eltern und Freunde der Familie, daß Jens und
Jörg einen jüngeren und fleißigen Bruder haben. Unter den Bildern
stand nun sein Name Florian Bauer. Er hatte jetzt einen
Familiennamen wie alle anderen Kinder auch. Er hörte die Leute laut
über die schönen Bildchen und Farben staunen, aber auch wundern,
wie und auf welche Weise die Familie Bauer jetzt noch einen Kleinen
haben. Das stört Flo nicht im geringsten, er wußte ja. Er war stolz
auf seine Bilder und seine Familie.. So ein Gefühl hatte er noch
nie. Es war herrlich!
Herrlich waren auch die Zeiten, wo er mal ganz für sich durch den
Garten, den Wald und durch das Haus streifen konnte. Heute war so
ein Tag. Die Abstellkammer, die Garage und den Keller kannte er
schon und immer fand er etwas Aufregendes. Nach der letzten Wäsche
war die Bodentür nicht wieder verschlossen worden und er konnte
auch dorthin seine Streifzüge ausdehnen. In einem sehr verstaubten
Pappkarton fand er einen Schuh. Warum nur einer? Er war ganz
leicht, schon ein bißchen abgerissen. Die Spitzen abgestoßen, die
Absätze abgewetzt und die Sohlen ganz dünn. Auf ihm lag der Staub
von Jahren. Wem gehörte er wohl? Jens? Jörg? Aber nein! Durch seine
Gedankenwelt fegte ein Sturm. Das ist ein Mädchenschuh? Er hatte
mal zwei Farben. Rötlichbraun, das durchlöcherte Blatt könnte mal
grün gewesen sein. Flo fing an, dem Schuh Fragen zu stellen.
Die Antwort war Stille. Flo begriff, dieser Schuh konnte nur
zuhören. Er sagte nun seinem Schuh, daß er ihn mitnehmen würde,
weil er hier oben so allein und vergessen war. Er steckte ihn
kurzerhand in seine Hosentasche. Er hatte einen Schatz gefunden und
was er da noch nicht wußte, für lange Zeit einen geduldigen
Begleiter. Beide erlebten ein tolle Zeit. Als erstes bekam sein
neuer Freund, so staubig er auch war, einen Namen. Weil ihm sein
Schnürsenkel fehlte, hieß er nun Schnürchen. Flo gab ihm mit dem
Namen, was ihm fehlte. Schnürchen durfte überall mit hin, denn er
konnte sich jetzt in Flo´s Hosentasche breitmachen und teilte so
mit ihm alle Geheimnisse.
Flo hatte es nun eilig, in die Badestube zu kommen, um seinen
Findling zu säubern. Sein Schnürchen nahm es ihm etwas übel, so
viel Wasser und Seife abzubekommen und war nach dem Trocknen etwas
hart. Im Laufe seines Taschenlebens wurde er merklich freundlicher
und geschmeidiger und blieb ein geduldiger Zuhörer für Flo. Er war
für Flo der Freund für einsame Stunden zu Hause und im
Kindergarten. Von den Auseinandersetzungen im Kindergarten oder
auch mit den Jungs erfuhr er immer als erster, was geschehen war
und half Probleme zu lösen, indem er zuhörte. Im Kindergarten
vergaß er es nie, ihm einen guten Mittagsschlaf zu wünschen, aber
nicht bevor er sich vergewissert hatte, daß er gut und fest in der
Hosentasche versteckt war. Am Abend sang er ihm auch ein
Schlaflied.
Ein schöner Herbsttag, der letzte vielleicht in diesem Jahr hatte
die ganze Familie noch einmal zu einem Ausflug veranlaßt, der
beinahe tragisch endete. Alle erfreuten sich an den wärmenden
Sonnenstrahlen, Laub war nicht mehr viel an den Bäumen. So konnte
sie fast ungehindert auf die Sonnenhungrigen herunterscheinen.
Jeder war in seine Gedanken verstrickt, raschelte mit dem Laub,
fand irgendwie noch einen kleinen Rest Sommer und schwatzend und
spielend gelangten alle an den steilen Abhang zum See. Dort traf
man sich mit Freunden. Die Erwachsenen machten einen Plausch über
dies und jenes, die großen Jungen legten einen kräftigen Spurt ein,
weil sie das langsame, genüßliche Gelatsche der Eltern nicht
ertragen konnten. Flo trödelte vor sich hin, vergnügte sich am
Steilhang und schaute den klatschenden Wellen zu.
Plötzlich entdeckte er etwas Herumkullerndes im Wasser. Es sah aus
wie ein Knäuel, ja genau war das von hier oben nicht auszumachen,
aber dann bewegte es sich, kämpfte gegen die Steine und die Wellen,
konnte sich aber nirgends festmachen. Immer wieder trug die nächste
herannahende Welle den nun erkannten kleinen hilflos ausschauenden
Igel immer wieder für kurze Strecken zurück. Für Flo stand fest, er
braucht Hilfe. Mit einem langen Rutscher auf dem Hosenboden am
Steilufer hinunter war er in Sekundenschnelle bei ihm. Aber auch
für ihn war es nicht leicht, dort einen festen Standplatz zu
finden. Es war hier gleich sehr tief und kalt dazu. Er erwischte
den kleinen Kerl und barg ihn erst einmal in seiner Trainingsjacke.
Beide waren nun naß. Triefend suchte Flo nun eine
Aufstiegsmöglichkeit und kam immer weiter ab von seiner ehemaligen
Einstiegsstelle. Je mehr er aber weiterwatete, desto rutschiger
wurde der Untergrund. Noch hatte er nicht um Hilfe gerufen, denn er
hatte keine Angst, konnte sie auch nicht erkennen. Er beruhigte nur
seinen kleinen Freund, der immer noch nicht seine Stacheln
eingezogen hatte und seinen Retter piesackte. Er war immer noch im
selbstvergessenen Rettungseifer, da hörte er einen Schrei.
Jemand rief immer wieder seinen Namen. Flo, Florian, wo bist du?
Flo melde dich! Flo sah nun in die Richtung des Rufers und erkannte
weiter weg an der Oberkante des Steilufers das vertraute Gesicht
von Björn. Björns Schrecksekunde war groß und schon war er bei Flo,
der immer nur Sorge um den Igel hatte. Er konnte alle geäußerten
Ängste, Vorhaltungen und folgende Verhaltensregeln nicht so recht
annehmen. Er hatte doch nur helfen wollen. Da er pitschnaß war,
half alles nichts, sie mußten zurück. Bis sie am Auto waren und sie
Flo in eine wärmende Decke hüllen konnten tat es Björns Jacke und
Marens großes Schultertuch. Die Bonbons von Jens und Jörg munterten
ihn wieder auf. Die Familie stellte nun fest, daß der Igel sich
noch nicht genug Speck angefressen hatte, um den langen Winter zu
überstehen und so kam er nebst nasser Kleider in den Kofferraum.
Alle beschlossen, den Igel mit allerhand guten Sachen zu füttern,
damit er überleben kann. Schabefleisch nahm er am liebsten.
Die Igelsache war nun klar. Flo hatte nur Sorge um sein Schnürchen.
Es war sicher, auch er war naß und das war schon einmal nicht so
gut gewesen für ihn. Er konnte aber jetzt nichts für ihn tun.
Natürlich stürzte er als erster, humpelnd und hüpfend mit der
umgehängten Decke an die Kofferklappe. Er sah aus wie eine schwarze
Krähe mit herunter hängenden Flügeln. Er bat nun um seine nassen
Sachen.
Wie ordentlich er doch ist, meinte Maren. Weit gefehlt! Was Flo
trieb, war nur sein Schnürchengeheimnis. Spät im Bett nach warmer
Wanne, Milch mit Honig und einer tollen Gutenachtgeschichte als
Loblied auf seine gute Tat, hatte er endlich die Möglichkeit,
seinem Schnürchen alles zu beichten. Er entschuldigte sich als
erstes für das unangenehme Bad bei ihm und erklärte dann lang und
breit, warum er den Igel dort retten mußte. Daß er selber in Gefahr
schwebte, war ihm immer noch nicht klar. Er maulte noch über die
vielen Ermahnungen und Vorwürfe der Erwachsenen. Dann tat die
Bettwärme ihre Wirkung und er schlief mit dem noch immer nassen
Schnürchen ein.
Der Igel kam noch viele Tage zum Fressen, bis er sich für seinen
Winterschlaf verkroch, um im nächsten Frühling als Dank für seine
Rettung die Schnecken aus den Erdbeeren zu fressen. So versprachen
es die Großen und die müssen es ja wissen.
Es wurde kühler, Nebel zog in die Tage. Die Ferien waren vorbei und
Flo ging wieder in den Kindergarten. Die Spiele wechselten.
Wettläufe, Rollerfahren und Hopse waren nun der große Hit. Diese
Abwechslungen machten ihm aber nicht viel Freude, seine Stärken
lagen im Malen, darum verlor er hier meistens unter dem Hohn der
Jungen. Da schlugen sich die Mädchen auf seine Seite und
versprachen ihm beizustehen, denn er war immer freundlich zu ihnen.
Er zog nicht an ihren Zöpfen und störte auch nie ihre Spiele. Sie
hatten schon bemerkt daß er einen kleinen Sprachfehler hat. Wenn er
solchen verächtlichen niederschmetternden Hohn erntete, konnte er
sich vor Aufregung nicht sprachlich wehren und schlagen wollte er
sich nicht. Die Mädchen griffen jetzt die frechen Jungen an, die
immer so geläufig mit ihrer Zunge waren und meinten, sie sollten
ihm lieber helfen. Wenn er ein gebrochenes Bein hätte, würdet ihr
ihm wohl stützen, aber wenn ihm die Zunge zerbrochen ist, dann
könnt ihr nur zanken und stänkern. Die so angezählten Jungen
plärrten ihnen die zerbrochen Zunge nach und wollten gerade
kichernderweise abziehen, als sich ganz behutsam ihre
Gruppenerzieherin einschaltete und das neue Verständnis und
Mitgefühl bei ihren Kindern bestärkte. Alles das hörte auch sein
Schnürchen, der von der Hand seines Freundes Flo fest umschlossen
wurde.
Wochen waren vergangen und Flo hatte eine kleine Freundin und
freute sich schon jeden Tag auf sie. Er spielte gerne mit ihr und
ihren Freundinnen. Langsam wurde der Kreis immer größer und er
hatte das Gefühl, er gehört dazu. Es war Mittagszeit und durch das
Haus zog der Duft von Zimt, die Kinder riefen, es gibt Reis mit
Zucker und Zimt oder Apfelmus. Viele Kinder freuten sich schon,
aber Flo´s kleine Freundin wurde immer stiller, aber er bemerkte es
nicht. Erst als schon fast alle ihre Portion verspeist hatten und
sich was nachnahmen, stutzte Flo. Seine Freundin stocherte herum,
die Tränen fielen ihr schon auf den Teller. Er stellte fest, sie
hatte mehr Apfelmus als Reis auf dem Teller, trotzdem konnte sie
nichts hinunter bekommen. In diesem Augenblick verließ die
Gruppenerzieherin den Raum, um im Waschraum nach den Kindern zu
sehen. Sofort schritt Flo zur Tat, er löffelte sich in Windeseile
den Mittagsrest von seiner Freundin in den Mund, aber nicht
unbemerkt von seiner Erzieherin, die im Türschatten stand, die
kindliche Solidarität erlebte und sie schmunzelnd gewähren ließ.
Von da an waren an den Reistagen immer zwei Schüsseln auf dem Tisch
und auch die Nudelschüssel wurde immer leer. Schnürchen war stolz,
bei so einem Freund in der Tasche zu wohnen.
Das erste Glatteis in diesem Winter wurde von den Kindern sofort
zum Schlittern ausgenutzt und es machte immer viel Spaß. Nun hatte
die Fläche aber einige Unebenheiten und die bekam seine Freundin zu
spüren. Sie rutschte und stolperte so ungünstig, daß sie
schmerzhafte Schrammen im Gesicht hatte. Ihre kalten Wangen waren
ganz rot und taten sehr weh.
Flo tröstete sie und führte sie in die Garderobe, wo er ihr beim
Ausziehen half. Als er ihr die Schuhbänder aufknüpfte, die ganz
gefroren waren, fiel ihm sein Schnürchen ein. Er zog es hervor und
drückte es ihr in die kalten Hände. Sie stutzte, aber er erzählte
ihr alles von seinem kleinen Begleiter und sie hörte zu. Sie hatten
nun ein Geheimnis und von da an saßen die beiden oft in einer Ecke
kicherten, tuschelten und sangen und hatten viel Spaß mit
Schnürchen.
Das Weihnachtsfest meldete sich durch seine Vorboten an. Der
Nikolaus kam auch in den Kindergarten. Alle Kinder stellten auch
hier erwartungsvoll einen ihrer Hausschuhchen in der Garderobe auf
die Bank. Danach trat im Haus eine knisternde Stille ein und
irgendwann war auch das letzte Kind eingeschlummert. Nun konnte der
Nikolaus auch hier seine Arbeit tun. Dann weckte leise Musik alle
Schläferchen, die sich nun auf einem Bein hüpfend, stolpernd und
neugierig in den Flur begaben, um sich davon zu überzeugen, daß der
Nikolaus auch wirklich hier bei ihnen gewesen ist. Der hatte sich
viel Mühe gemacht und seine kleinen Säckchen mit einem goldenen
Band versehen. Flo wußte sofort, was er damit machen konnte. Er
verkroch sich an ein ruhiges Plätzchen und löste das Goldband um
etwas zu naschen.
Keiner achtete auf ihn, alle hatten mit sich zu tun . So konnte er
ganz unentdeckt flugs seinen goldene Reichtum in die leeren Löcher
von Schnürchen fädeln. Gut sah sein Freund damit aus und verdient
hatte er es auch für seine große Geduld. Er war zufrieden und ließ
sein Schnürchen wieder in die Hosentasche gleiten. In der
Adventszeit ging das Flüstern und Gewerkel überall weiter.
Flo erlebte nun bald sein erstes Weihnachten in der Familie und er
wußte nicht, wie das so sein würde. Im Heim war alles klar, aber
hier mit Björn, Maren und den Brüdern zusammen, wie soll das gehen?
Er schwatzte nächtelang mit seinem Schnürchen darüber, bis er dann
seine Kindergartenfreundin fragte, wie es bei ihnen zu Hause
gefeiert wird. Also das ist so:
Erstmal werden alle Kinder ausgesperrt - na wohin denn?- na wo
schon, in die Kinderstube und da müssen wir bleiben und da gibt es
immer den ersten Streit, wer was bekommt. Da werden jedem von jedem
blitzschnell alle Verfehlungen aufgezählt und damit festgestellt,
daß eigentlich keiner was zum Fest bekommen müßte. Bis das
Glöckchen läutet. Dann dürfen wir alle in die Fernsehstube und den
von Vater geputzten Weihnachtsbaum bewundern. Danach findet jeder
seine Geschenke, stürzt sich über seinen süßen Teller her und zieht
sich zurück.
Mutter wird dann immer so komisch und fängt zu singen an. Na ja,
das ist aber bald vorbei. Dann holen wir unser Gebasteltes heraus
und sagen unser Gedicht auf und dann machst du was du willst. Dann
gibt es noch für alle eine ganz tolle Überraschung. Die Mutti macht
uns immer ein ganz prächtiges Abendessen und dann dürfen wir noch
lange aufbleiben. Vati steckt dann noch mal frische Kerzen auf und
wenn die alle runtergebrannt sind, müssen wir aber wirklich ins
Bett.. Na nun weiß ich jedenfalls Bescheid und weiß, was ich machen
muß. Also warten bis es läutet. Ja ja dann geht's los, versicherte
ihm seine kleine Freundin. Einen Kerzenständer aus Ton habe ich
schon für Maren angefertigt und einen Stein bunt angemalt als
Briefbeschwerer für Björn, berichtete Flo und fragte gleichzeitig,
ob das reichen wird. Aber ja doch.
In der Woche vor Weihnachten waren wieder Schulferien und auch Flo
blieb zu Hause. Überall in allen Zimmern und auf dem Flur war
Tannengrün mit Strohschmuck hingestellt worden. Die ganze Familie
fand sich in der Küche ein und unter Marens Anleitung wurde für das
Fest gebacken. Es war herrlich in der großen Küche und naschen
durfte er auch. Nur Björn hatte noch am Computer zu tun und legte
nur ab und an mal eine neue Schallplatte auf, um die fleißigen
Weihnachtsbäcker zu erfreuen. An den Abenden verbreitete
Kerzenlicht einen ganz besonderen Zauber in den Stuben und es war
ganz gemütlich. Björn kam mit einem Buch unter dem Arm in die Stube
herunter, Jens und Jörg kamen aus dem Keller und taten sehr
wichtig. Maren und Flo saßen schon auf dem kuscheligen Sofa und
erzählten sich was. Björn war dabei, eine Geschichte
herauszusuchen.
Flo bat nur darum, nicht wieder die Weihnachtsgans Auguste hören zu
müssen, das war immer Standard im Heim. O nein, heute lese ich euch
die Geschichte vom alten Nußknacker vor, der jahrelang alle Nüsse
für die Kinder der Familie geknackt hatte und plötzlich, weil die
Kinder erwachsen waren und ihre eigenen Familien hatten, nur noch
vergessen im Schrank stand. Flo hörte nur noch mit dem halben Ohr
hin, griff in seine Hosentasche und fühlte glücklicher weise sein
Schnürchen, dem es ja genauso ergangen war. Nur der Nußknacker
konnte wenigstens durch die Glasscheibe schauen und den beiden
Alten, die da ganz allein im Kerzenlicht saßen, zusehen. Dem
Nußknacker tat das so leid, daß sie so allein waren und fing ganz
toll an mit seinem großen Maul zu klappen bis die beiden Alten ihn
hörten und ihn herausnahmen. Nun erinnerten sie sich an die
glücklichen Jahre mit ihren Kindern und waren froh, so eine schöne
Zeit mit ihnen verlebt zu haben. Draußen rumpelte es, die beiden
Alten schreckten aus ihren Erinnerungen auf und sogar der
Nußknacker wurde ganz still.
Die beiden fragten sich, wer da wohl käme und das am Heiligabend,
wo jeder allein zu Hause in der Familie ist. Das Schloß rappelte,
die Klinke sprang auf wie von allein und herein stolperten die
Enkelkinder und Kinder, an die beide gerade gedacht hatten. Nun war
auf einmal wieder viel Freude, viel Licht, viel Liebe im Haus. In
dieser Nacht waren die beiden Eltern nicht mehr allein und ihr
Nußknacker bekam tüchtig zu tun. So und nun in die Falle mit euch.
Morgen ist "Heilige Nacht" da müßt ihr gut ausgeschlafen
sein.
Alles begann ganz anders, als es Flo von seiner Freundin hörte. Am
Vormittag gingen die vier Männer in den Garten und schüttelten von
der Blautanne den Schnee herunter. Das sah ganz lustig aus, wenn
der Schnee so stiebte und in der Sonne glänzte, nur dumm, daß man
den Schnee in den Kragen bekam. Björn hatte einen Korb aus dem
Keller geholt, der allerhand nahrhafte Sachen barg. Möhren für die
Hasen, die kamen ganz unten an den Stamm der Blautanne. Die
Sonnenblumenkerne auf das Brett und auf den größten Ast der Tanne.
Der grüne Speck ganz nach oben für die Vögel. Die Tontöpfe mit den
Talgkernen kam an die Astmitte zu hängen, damit nichts abbrechen
kann. Ein paar Nüsse halb angeknackt für die Eichhörnchen, wenn sie
dann kommen sollten. Also ein Baum für die Tiere, der von diesem
Tag an bis zum Frühling immer wieder mit frischen Futter bestückt
wird. Die ersten Körner verstreut Björn schon immer Ende Oktober,
damit sich die Tiere an den Futterplatz gewöhnen.
Als im Garten nichts mehr zu tun war, rief Maren alle in die Küche.
Es gab eine kleine Überraschung für fleißige Fütterer. Eine
zünftige Schokolade für die Kinder und mit einem dicken Schuß
Kognak für die Großen. Dann ging es daran, den Weihnachtsbaum
aufzustellen. Alle halfen mit ihn zu schmücken. Flo kam mit all
seinen Vorstellungen durcheinander. Nichts von dem, was ihm seine
Freundin erzählt hatte, stimmte hier. Das zeigte ihm wieder einmal,
daß jeder seine Erfahrungen selber machen mußte.
Als sich die Dämmerung niedersenkte, Flo war gerade oben in seiner
Stube, um nachzusehen, ob seine Geschenke für Björn und Maren schön
verpackt wären, da erklang im ganzen Haus Klaviermusik. Noch nie,
solange Flo in diesem Hause lebte, hatte jemand Zeit gefunden, auf
dem Flügel zu spielen. Jetzt endlich diese Musik, die ihn ganz
gefangen nahm. Maren hatte sich rangesetzt und spielte eine
Weihnachtsmelodie nach der anderen. Flo kam langsam, ja fast
schüchtern, die Treppe herunter und sah Maren im Kerzenschein
leicht gebeugt am Flügel sitzen. Jens und Jörg drängten ihn von der
Treppe vorsichtig runter in den großen Raum, in dem ein ungeahnter
Zauber hing. Björn nahm den staunenden kleinen Wicht dicht an sich
heran und alle standen bei Maren am Flügel. Keiner störte ihr Spiel
und Flo schaute, wie ihre Finger geschwind über die Tasten glitten.
Der Ring, den sie am Finger hatte, glitzerte und tanzte immer mit.
Das war das schönste Weihnachtsgeschenk, meinte Flo ganz
unvermittelt und schmiegte sich noch fester an Björn heran, denn
Maren blieb in diesem Augenblick seiner größten Entzückung für ihn
unerreichbar.
Dann öffnete Björn die Balkontüren. Frische Schneeluft durchflutete
den Raum und es funkelten winzige Kristalle auf den Fußboden
nieder. Nun drang schwerer Glockenklang vom Turm herüber und
läutete das Weihnachtsfest ein. Die Kerzen flackerten sehr und Jens
wollte die Türen wieder schließen, da meinte Björn, warte noch
einen Augenblick, ich will in die Winternacht horchen. Richtig, er
hatte sich nicht getäuscht, zwischen weihnachtlichen Klängen und
Glockengeläut hatte er ein sehr bekanntes Motorengeräusch
vernommen.
Freunde kamen mit ihren Kindern aus der Stadt zu ihnen in das
märchenhaft anmutende verschneite Waldhaus. Gleich wird es hier
sehr turbulent hergehen, Freunde lagen sich in den Armen wünschten
sich gegenseitig frohe Festtage. Aus den Kofferräumen kamen zarte
Blüten zum Vorschein, die waren für Maren und standen etwas später
auf dem Flügel. Geschenke für die Kinder und den Freund waren auch
noch zu finden. Geschwind wurde alles durch den leise fallen Schnee
ins Haus getragen. Nun brach eine Welle der Freude und der Neugier
über alle herein. Mitten in diese auspackende und Päckchen
aufknüppernde Gesellschaft stürzte ganz unverhofft ein kleines
winziges sehr lebendiges Knäuel. Flo war verdutzt, weil der kleine
Yorkshire-Terrier geradewegs auf ihn zusteuerte. Er griff nach ihm
und dabei glitt ihm sein Freund Schnürchen aus der etwas zu engen
Festtagshosentasche. Die Kindergartenhosen hatten viel tiefere
Taschen, das war viel besser. Flo konnte seinen Freund nicht in
Sicherheit bringen. Das kleine freche Hundeschnäuzchen hatte ihn
geschnappt und tollte mit dem von Flo so sorgsam gehüteten
Geheimnis zum Spaß aller Freunde durch den Raum.
Der Weihnachtshund, der noch keinen Namen hatte, legte das
"Schnürchen" vor Maren ab und bettelte sie an. Sie nahm das
Schnürchen nun in die Hand und fragte nun Flo, wo er ihn denn her
hätte und wie lange schon. Flo lehnte sich an Maren und erzählte
ihr ganz leise und ein bißchen verschämt von seinem Geheimnis.
Seine Erlebnisse mit ihm verschwieg er ihr aber. Maren verstand ihn
auch so und drückte ihn ganz fest an sich. Sie berichtete nun
ihrerseits, daß es ihr Schuhchen war. Ihre Mutter hatten ihn für
sie aufgehoben, weil sie so an ihm hing. Flo dachte nur daran, daß
er sich mit seiner Vermutung nicht getäuscht hatte, -Mädchenschuh -
und war zufrieden. Maren erzählte aber weiter: als Björn und ich
dann das schöne Haus bauten, brachte uns meine Mutter meinen Schuh
als Einweihungsgeschenk, mit dem Bemerken, daß noch mehr große und
kleine Schuhe unter diesem Dach wohnen sollten. Denn nur ein volles
Haus ist ein gutes Haus. Maren und Björn haben diesen
Einweihungsspruch nie vergessen, sondern ihn gelebt, das zeigen
ganz deutlich alle Freunde, die sich hier in dieser Heiligen Nacht
trafen.
Ab diesem Abend überließ Flo sein Schnürchen dem jüngsten Mitglied
der Familie, damit auch er sich hier einlebt. Flo brauchte ihn nun
nicht mehr.
Nach einem ausgiebigen Weihnachtsspaziergang durch die stille Nacht
setzte sich Maren noch mal an den Flügel, der kleine Namenlos
schleppte immer noch sein schwer erobertes Schnürchen umher und
schlief zuguterletzt mit dem Schnäuzchen auf Flo´s Füßen ein. Der
niedliche Quirl war wohl der einzige, der in dieser Heiligen Nacht
schlief.
Flo stand ganz leise auf, lehnte sich an den Flügel und flüsterte.
Was meinst du, Mama Maren, habe ich es richtig gemacht, ihm unser
Schnürchen zu überlassen? Aber ja, meinte Maren überglücklich, denn
sie wußte, jetzt war Florian zu Hause angekommen